Liebe auf den ersten Blick: Ist es ein Mythos oder Wirklichkeit?
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Olga Martynovas Essays sind hellwach und hoch reflektiert. Ich sehe Heinz auch nicht als Schauspieler. Das mit Mandelstam traf mich wie ein Blitz.
Habe jeglichen Kontakt abgebrochen und versuche den Weg zu mir zu finden. Damals ging es um die beiden ersten Europäer, die das legendäre Timbuktu erreicht haben. Wäre die Familie in Frankreich geblieben, wäre das Schicksal aller nicht weniger tragisch gewesen. Aber ob es das überhaupt geben kann: ein weißes Blatt, eine allgemeine Stunde Null?
»Das mit Mandelstam traf mich wie ein Blitz« - Und das find ich gut so.
Literatur ist die Frechheit und Freiheit, sich nicht festlegen zu müssen. Nicht Bescheid wissen zu müssen über die sogenannte Gegenwart, über sich selbst oder »die anderen«. Olga Martynova im Gespräch über diese kostbare Freiheit, über die »Dummheit der Stunde« und die Wichtigkeit des Smalltalks in Zeiten wie diesen. Olga Martynova Olga Martynova, 1962 bei Krasnojarsk in Sibirien geboren, wuchs in Leningrad auf und studierte dort russische Sprache und Literatur. Sie schreibt Gedichte auf Russisch und Essays und Prosa auf Deutsch. Für ein Kapitel aus ihrem Roman »Mörikes Schlüsselbein«gewann sie 2012 den Ingeborg-Bachmann-Preis. Olga Martynova lebt mit ihrem Mann, dem Autor Oleg Jurjew, in Frankfurt am Main. »Wir lösen keine Probleme der Gegenwart mit der Kunst. Wir sehen die Gegenwart gar nicht«, heißt es an einer Stelle in Ihrem neuen Buch. Kann der erste blick traf mich wie ein blitz die Kunst, kann uns die Literatur dabei helfen, die Gegenwart zu sehen. Von der Kunst wird immer wieder verlangt, dass sie auf aktuelle Ereignisse reagiert. Wenn sie diese Forderung zu erfüllen versucht, dann verstellt sie nur den Blick mit der Anhäufung von fremden Meinungen und Schlussfolgerungen, mit Betroffenheit, die nicht aus echter menschlicher Empathie geboren wird, sondern aus dem Bedürfnis nach Kolportage, nach der Bestätigung eigener Vorurteile, nach der Steigerung der kollektiven Emotionen. Keiner lebt im Vakuum, jede Kunst ist auch eine Reaktion auf die Gegenwart, aber sie ist nur dann Kunst, wenn sie das anders tut, als von ihr verlangt und erwartet wird, wenn sie nicht einen kollektiven Menschen anspricht, sondern einen individuellen. Wenn man auf die Kunst wie ein individueller Mensch reagiert, dann ja, dann kann man die Welt, auch die Gegenwart besser erkennen, weil Kunst und Literatur die Wahrnehmung verfeinern. Es gibt im Moment viele Versuche, die Gegenwart in den Blick zu nehmen, sie womöglich gar auf einen passenden Begriff zu bringen. Da ist dann zum Beispiel von »großer Regression« oder »großer Gereiztheit« die Rede. Sie sprechen in Ihrem neuen Essayband von der »Dummheit der Stunde«. Es ist schwierig, sich in einer Umgebung, wo alle allen etwas beweisen möchten, davon nicht mitreißen zu lassen. Was ist der Unterschied zwischen »Lügenpresse« und »fake news«. Nur, dass mit einem der Wörter »wir« und mit dem anderen »sie« beschimpft werden. Die »Dummheit der Stunde« ist die Überzeugung, mit welcher die sich täglich ändernden und oft widersprüchlichen Berichterstattungen zu unausgegorenen Emotionen werden. Ich wollte mit meinem Buch nichts beweisen, niemandem etwas erklären, ich wollte nur die Möglichkeit eines Blickes auf die Welt aufzeigen, der frei von solcher »Betroffenheit« ist, die im Grunde nur alte Ressentiments bedient. Einer Ihrer Essays ist überraschenderweise mit »Lob des Smalltalks« überschrieben. Sollten wir statt über Trump, Brexit und AfD mehr über das Wetter reden. Aus einem Smalltalk wird öfter etwas Menschliches entstehen als aus einem angeblich tiefsinnigen Gespräch über die aktuelle Politik. Gesprächspartner eines »ernsten« Gesprächs gehen oft auseinander, ohne die Meinung des anderen im Geringsten zu berücksichtigen und über sie nachzudenken. »Smalltalk« ist nicht unbedingt »small«. Er klammert nur alles aus, was taktlos, verletzend oder zu persönlich sein könnte. Hätte man den Smalltalk besser gepflegt, hätte man »political correctness« nicht erfinden müssen. Charakteristisch für Ihr Buch ist der permanente Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Sehen wir die sogenannte Gegenwart vielleicht gerade deshalb nicht, weil wir auch all die fortdauernden Vergangenheiten nicht sehen. Das ist eine sehr interessante Frage. Heute sind wir dicht von nicht vergangenen Problemen der »Vergangenheit« umgeben. Sie kehren immer wieder zurück, vielleicht bis man aus der Geschichte etwas gelernt hat, was natürlich sehr unwahrscheinlich ist. Vielleicht hat die heutigen Probleme, die uns das 20. Jahrhundert hinterlassen hat, dieses seinerzeit vom 19. Jahrhundert geerbt, welches sie seinerseits vom 18. Jahrhundert übernommen hatte und so weiter und so fort, d. Man versucht oft und gerne, zu glauben, dass die Menschheit etwas dazulernt, besser, menschlicher, freidenkender und friedlicher wird. Das Problem ist nur, dass irgendwann, mitten in diesem Glauben etwas passiert, was ihn zunichtemacht. Nach einer nächstfälligen Katastrophe beginnt dieser Glaube wieder zu entstehen. Man wackelt auf dem Wipfel eines morschen Baums, dessen Äste im 20. Jahrhundert ihren Schatten werfen, dessen Stamm im 19. Jahrhundert ächzt, dessen Wurzeln im 18. Jahrhundert und in noch tieferem Sediment ein verworrenes Netz bilden. Er stürzt irgendwann und begräbt alle und alles unter seinen vom Hass der Epochen beschwerten Ästen. Lieber einen anderen Baum pflanzen, bevor das geschieht. Aber ob es das überhaupt geben kann: ein weißes Blatt, eine allgemeine Stunde Null. Ich meine mit »man« nicht irgendeine Gemeinschaft, sondern einfach alle, die »wir« auf dem Wipfel sitzen, die »wir« in den Wurzeln wühlen, die »wir« am Stamm nagen. Heute handeln Staaten so, als hätten sie geopolitische Interessen wie im 18. Aber sie haben sie nicht. Und damit werden natürlich neue Probleme wie im 18. Das ist eigentlich schon passiert. Ich bin immer bereit anzunehmen, dass Politiker wenigstens wissen, was sie wollen, welche Ziele sie verfolgen und warum sie dieses oder jenes sagen, wohl wissend, dass das eine taktische Ungenauigkeit Lüge, Über- oder Untertreibung oder was auch immer ist. Das entspricht der Natur der Dinge, dass Politiker versuchen, ihre oder ihrer Länder Interessen zu verfolgen, und auf diese Interessen, wie sie sie verstehen, und nicht auf die »Wahrheit« hinauswollen. Auch entspricht es der Natur der Dinge, dass das mediale Feld diese Prozesse wiedergibt. Ich habe überhaupt nicht vor, das zu bewerten. Was mich interessiert: Warum die sogenannten Intellektuellen und in erster Linie Künstler und in allererster Linie Autoren ihre Sprache mit den fertigen Formeln aus diesen politischen Spielen kontaminieren lassen. Alle sind selbstgerecht und oft schadenfroh. Alle wählen zwischen zwei Konfliktseiten eine »gerechte«, ohne tatsächlich unterscheiden zu können. Aber ein denkender Mensch muss wenigstens in der Lage sein, das zu reflektieren. An einer Stelle in Ihrem Buch nennen Sie die Wendezeit um 1989 die »Belle Epoque« Ihrer Generation. Was war das »Schöne« dieser Zeit für Sie. Und inwiefern war dieses »Schöne« vielleicht auch mit der fatalen Illusion verbunden, das 20. Jahrhundert mit seinen Aufrüstungen und Mobilmachungen endlich hinter sich zu haben. Heute ist der Begriff »Belle Epoque« nicht getrennt von dem Ende jener Zeit, dem Ersten Weltkrieg, zu denken, und natürlich auch nicht ohne all die Erscheinungen, die nicht so »schön« waren und letztendlich in die Katastrophen des 20. Also genau, der erste blick traf mich wie ein blitz Sie es sagen: eine Zeit der Illusionen. Nicht anders war auch die »Belle Epoque« der Wendezeit. Die vollkommene Verkörperung ihrer Illusionen war wahrscheinlich der Aufsatz »Ende der Geschichte« von Francis Fukuyama, der damals in aller Munde war. Ich kann mich erinnern, wie naiv mir dieser Aufsatz auch damals vorkam. Und trotzdem schienen einige Probleme gelöst zu werden. Wenigstens innerhalb Europas ich meine jetzt den europäischen Kontinent. Das war ein Gefühl der Befreiung. Sie erzählen in einem Ihrer Essays die Geschichte des Dichters Ossip Mandelstam, der als junger Student in Heidelberg war. Vielleicht wäre Mandelstam, so Ihre Überlegung, nicht in einem sibirischen Lager umgekommen, wenn er damals in Heidelberg geblieben wäre. Stattdessen aber wäre er wahrscheinlich in einem Lager in Südfrankreich gestorben. Denn dorthin wurden Heidelberger Juden deportiert, bevor es weiter Richtung Vernichtungslager ging. Auch dann also, wenn man die Geschichte anders erzählt, steht am Ende die Ermordung des Dichters: Stalin oder Hitler, tertium non datur. Warum müssen wir uns immer wieder solche schrecklichen Geschichten erzählen. Das mit Mandelstam traf mich wie ein Blitz. Wäre die Familie in Frankreich geblieben, wäre das Schicksal aller nicht weniger tragisch gewesen. Hinter solchen Spekulationen steckt nicht der Wunsch, jemandem einen effektvollen Schrecken einzujagen. Sie zeigen, dass man in seinem Beurteilen jeder Situation immer in den Schemata des Selbstverständlichen gefangen ist. Es wird immer wieder nach »Guten« und »Bösen« gesucht, sogar dort, wo es keine »Guten« gibt. Kaum zu glauben, aber wenn ich jemandem sage, dass Mandelstam, wäre er in Heidelberg geblieben, ein genauso tragisches Schicksal erwartet hätte, ist die erste Reaktion immer die kategorische Verneinung. Eine andere, eher kuriose Geschichte, die Sie erzählen, betrifft spießige Zimmer- und Balkonpflanzen, etwa Geranien, in der Sowjetunion. Die wurden nämlich in den ach so progressiven 20er und 60er Jahren in der Sowjetunion buchstäblich eliminiert. Geranien waren überall, nicht nur in Russland, als kleinbürgerlich verpönt. Menschen hoffen immer, sich ein perfektes Leben zu schaffen. Manchmal besorgen sie sich zu diesem Zweck Geranien. Manchmal schmeißen sie ihre Geranien weg. Dabei wird der erste blick traf mich wie ein blitz der kleinen Bühne genau das wiederholt, was gerade auf der großen Bühne passiert. Ich glaube, man kann mit Hilfe fast jedes kleinen Gegenstandes große Geschichten erzählen. Auch die kleine Geraniengeschichte spiegelt die große Geschichte des Jahrhunderts wieder. Bei der erwähnten Mandelstam-Geschichte geht es ja nicht nur um die Frage nach dem, was man heute zynischerweise »alternativlos« nennt. Es geht bei der Geschichte ja vor allem auch einfach um die Erinnerung an einen wunderbaren Dichter, der in Ihrem kleinen Text für einige Augenblicke gewissermaßen wieder aufersteht, als junger, hoffnungsvoller Student in Heidelberg. Warum die wiederkehrende Erinnerung an die Dichter, an Brodsky, Celan oder Ovid, in Ihrem Buch. In Gaspra auf der Krim zum Beispiel notieren Sie: »Ich erkenne den Balkon von einem Foto, das Tolstoi und Tschechow beim Teetrinken zeigt, und fotografiere den leeren Balkon. « Was bedeutet diese Leerstelle für Sie. Diesen leeren Balkon kann man als Raum sehen, der allen offensteht und einlädt, weiterzudenken, weiterzuleben. Die zwei, die einst hier Tee getrunken haben, sind gegangen. Das ist keine Anmaßung, sondern Verantwortung. Beide Schriftsteller haben das Bewusstsein und Selbstbewusstsein des Menschen erweitert. Kunst ist eine starke Bewusstseinserweiterung. Ich habe das als sehr junger Mensch begriffen, und das war der Grund, warum ich auf Drogenkonsum völlig verzichtet habe ich war viel mit Hippies unterwegs, und diese Option bot sich selbstverständlich an. Ich habe begriffen, dass die bewusstseinserweiternde Eigenschaft der Kunst so ist, dass sie das eigene Bewusstsein eines Menschen nicht notwendigerweise unterdrückt. Eine Droge neigt dazu, das Bewusstsein zu verdrängen und seinen Platz einzunehmen. In einem gewissen Sinne gilt das für alles, dem man begegnet. Aber Kunst, im Unterschied zu der erste blick traf mich wie ein blitz Droge, lässt einem eine Chance, denkerisch selbständig zu bleiben, kann dabei sogar behilflich sein. Damit ist dieser leere Balkon ein freier Raum, der einem von der Kunst der Vergangenheit zur Verfügung gestellt wurde. Auch andere Dichter, die mein Buch bevölkern, sind Boten der Freiheit. Sie reisen am Schluss Ihres Buches auf die Krim und führen dort eine Art Tagebuch. Die Belle Epoque Ihrer Generation endete für Sie, wie Sie schreiben, mit dem Jahr 2014, mit der Annexion der Krim durch Russland. Was genau endete da und was fing da an aus Ihrer Sicht. Diese »Belle Epoque«, von der wir gesprochen haben. Zur selben Zeit manifestierten sich viele Probleme, mit denen wir alle heute zu leben haben. Einem bleibt nur eine Möglichkeit, etwas zu sagen, damit man als einer auf der »richtigen Seite« gesehen wird. Und eine entgegengesetzte Möglichkeit, die einen gleich auf die falsche Seite manövriert. Wenn ich sage, dass ich das nicht als Annexion betrachte, werde ich gleich in einer politischen Ecke gedacht, zu der ich definitiv nicht gehöre. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung der Krim fühlte sich nie zur Ukraine gehörig. Für diese Menschen ist das, was passiert ist, eindeutig eine Wiedervereinigung. Auch für Menschen, die der russischen Regierung gegenüber durchaus oppositionell gestimmt sind. Der erste blick traf mich wie ein blitz wollen am Leben dieses Landes teilhaben. Ich habe versucht, meine Reise auf die Krim so objektiv wie nur möglich zu beschreiben, ohne zu urteilen, zu verurteilen, ohne nach den Richtigen und den Falschen zu suchen. Ich kann nur hoffen, dass es auch Leser gibt, die sich für solche Berichte interessieren und nicht für die Schriften, die die eine oder andere vorgefertigte politische Meinung verteidigen. Hinter meiner letzten Frage verbirgt sich natürlich auch die Erwartung, von einer Russland-Expertin Auskunft über den Stand all der Dinge zu erhalten, die ich nicht verstehe. Wie sehr nervt Sie die Festlegung auf Ihre Herkunft und die damit verbundene Expertise. Einerseits freue ich mich, wenn ich über etwas erzählen darf, worüber ich einfach ein »Bonus-Wissen« habe. Andererseits wissen die Fragenden sehr oft schon im Voraus Bescheid und sind unzufrieden, wenn das, was ich sage, damit nicht übereinstimmt. Das hilft mir zu verstehen, wie wenig wir alle über alles wissen. Ich bin dadurch viel vorsichtiger geworden bei der Beurteilung der Angelegenheiten von Ländern, in denen ich nicht längere Zeit gelebt habe und deren Sprache ich nicht beherrsche. Abgesehen davon, ja, wenn man immer wieder auf etwas Bestimmtes reduziert wird, in diesem Fall ist das meine Herkunft, ist das immer diskriminierend. In meinem letzten Roman geht es um die »Euthanasie« im Dritten Reich. Ich habe für dieses Buch viel recherchiert, ich habe mit diesem Thema drei Jahre gelebt, ich finde heute noch, dass dieses Buch mich verändert hat, die Opfer dieser »Euthanasie«, an die ich viel gedacht habe, sind zu einem wichtigen Teil meines Lebens geworden, sie haben mich zu einem anderen Menschen gemacht, ich bin trauriger, auch resignierter geworden, ich neige mehr als früher dazu, mich vor zu kategorischen Meinungen und Schlussfolgerungen zu hüten, und so weiter, ich kann lange darüber sprechen, wie wichtig mir das alles der erste blick traf mich wie ein blitz. Und dann, obwohl ich generell eigentlich wunderbare Leser und keinen Grund, mich zu beschweren, habe, gab es mit diesem Buch einige Erfahrungen, die mich sehr beschäftigen: Manch deutscher Leser hat gesagt, es sei ein internes deutsches Thema, das ich lieber nicht hätte anrühren sollen. Das war kränkend und unbegreiflich. Auf dem Cover Ihres neuen Buches sieht man den Raub der Europa durch den in einen Stier verwandelten Zeus. Was bedeutet diese alte Geschichte, was bedeutet »Europa« für Sie. Ich hatte mir nie Gedanken darüber gemacht, was Europa für mich bedeutet, weil für mich immer selbstverständlich gewesen ist, dass ich in Europa lebe und ein Teil Europas bin. Meine Lieblingslektüre in Kinderjahren waren die altgriechischen Sagen. Ich bin in einem Land aufgewachsen, das Opfer des Marxismus war, um nur zwei Beispiele des »Europäischen« zu nennen, das mich genauso natürlich umgab wie die Architektur meiner Stadt St. Petersburg damals Leningrad oder der Finnische Meerbusen und seine Küste mit lichten Kiefernwäldern und moosbewachsenen Findlingen. Dass man in letzter Zeit das Wort »Europa« sehr ideologisiert, politisiert und missbraucht, macht mich traurig. Dass »europäisch« zum Synonym für alles geworden ist, was »progressiv«, »demokratisch«, »richtig« ist, finde ich gefährlich. Man lässt sich von Selbstgefälligkeit leiten, indem man »wir Europäer« sagt und meint, dadurch automatisch auf der richtigen Seite zu sein. All das raubt mir mein Europa. »Gegen das Bescheidwissen« lautet ein Fragment aus der »Dialektik der Aufklärung« von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, das Sie in Ihrem Buch zitieren. Wer nicht selbstgefällig Bescheid weiß, könnte man sagen, erzählt Geschichten, schreibt Gedichte oder eben Essays. Und es gibt natürlich noch eine andere wunderbare Möglichkeit, sich dem Zwang zum Bescheidwissen zu entziehen, nämlich zu lesen. Ich habe seit meiner Kindheit die Angewohnheit, mehrere Bücher parallel zu lesen. Dabei hat ein neues Buch von einem geschätzten Kollegen immer Priorität. Aus dieser »Prioritätsreihe« lese ich gerade »Fremde Verwandtschaften« von Thomas Stangl. Er kommt in diesem seinem fünften Buch »nach Afrika« zurück, das der Schauplatz seines ersten Buches, »Der einzige Ort«, war. Damals ging es um die beiden ersten Europäer, die das legendäre Timbuktu erreicht haben. Das Bild Afrikas in diesem Buch war eine virtuose Mischung aus antiken Mythen, gnadenlos reflektierten Vorurteilen aus der Neuzeit, dem Spiel mit afrikanischen Sagen und Träumen. Sein neues Afrika-Buch ist diese »Gegenwart«, von der wir am Anfang gesprochen haben, die niemand sieht. Und das Buch tut nicht so, als würde es sie sehen. Sein Protagonist ist alles andere als einer, der »Bescheid« weiß, er ist angesichts der europäisch-afrikanischen Geschichte verlegen und verloren. Aber auch angesichts der europäisch-europäischen und afrikanisch-afrikanischen Geschichten. Alles ist wirklich und unwirklich zugleich. Die Unwirklichkeit schafft mehr Klarheit, als die Wirklichkeit verbirgt. Ich habe ungefähr die Hälfte gelesen und freue mich, dass mir noch die ganze andere Hälfte von diesem Buch bleibt. Und ich habe gerade das Prosa-Debüt der ebenso österreichischen Autorin Renate Silberer gelesen, »Das Wetter hat viele Haare«. Das ist ein wunderbares Debüt, mit einer sehr eigenen souveränen Sprache, mit surrealen Bildern, die mitten in dem »normalen« Leben unmittelbar erscheinen und die Narration auf eine eigene Weise zusammenhalten. Das Interview führte Sascha Michel, Lektor im S. Über die Dummheit der Stunde »Wir sehen die Gegenwart gar nicht. « Was verändert sich gerade, in Deutschland, in Europa, weltweit. Kann Literatur überhaupt etwas zur Erkenntnis der Gegenwart beitragen. Welche Rolle spielt die Vergangenheit dabei. Und sollte die Literatur wieder politischer werden. Olga Martynova reist ins heutige Jerusalem und zurück in die Sowjetunion der achtziger Jahre. Sie trifft Künstler und Intellektuelle in ihrer Heimatstadt St. Petersburg und auf der Krim, und immer wieder wirft sie die Frage auf, wie Literatur mit den Schrecken der Zeit und der Tragik des Lebens umgeht. Im Reisegepäck hat sie dabei Autoren wie Joseph Brodsky und Paul Celan, Ossip Mandelstam und Ovid. Olga Martynovas Essays sind hellwach und hoch reflektiert. Es sind literarische Grenzgänge zwischen Gegenwart und Vergangenheit, sensible Momentaufnahmen einer unruhigen Welt.
Lil Rain - Der erste Blick. [Lyrics]
Ich habe für dieses Buch viel recherchiert, ich habe mit diesem Thema drei Jahre gelebt, ich finde heute noch, dass dieses Buch mich verändert hat, die Opfer dieser »Euthanasie«, an die ich viel gedacht habe, sind zu einem wichtigen Teil meines Lebens geworden, sie haben mich zu einem anderen Menschen gemacht, ich bin trauriger, auch resignierter geworden, ich neige mehr als früher dazu, mich vor zu kategorischen Meinungen und Schlussfolgerungen zu hüten, und so weiter, ich kann lange darüber sprechen, wie wichtig mir das alles ist. Aber vermeiden lässt es sich nur sehr schlech das ich ihr ab und zu über den Weg laufe. Sie wird vielleicht eines Tages mich vermissen und vielleicht fühlen daß sie was verloren hat, aber nur vielleicht. Jahrhundert hinterlassen hat, dieses seinerzeit vom 19. Hinter solchen Spekulationen steckt nicht der Wunsch, jemandem einen effektvollen Schrecken einzujagen. Er wird der Löwe sein, der für dich kämpft, dir zeigt, dass du seine Löwin bist. Bin hinterhergerannt und mir wurde hinterhergerannt. Meine Mutter meinte dan gleich zu mir, guck mal was für hübsche nachbarjungs! Alles Sachen die es bei mir niemals gegeben hätte. Entweder sie kommt zurück oder nicht. Ich bin in einem Land aufgewachsen, das Opfer des Marxismus war, um nur zwei Beispiele des »Europäischen« zu nennen, das mich genauso natürlich umgab wie die Architektur meiner Stadt St.